AD(H)S

Das sogenannte Aufmerksamkeits-Defizit-(Hyperaktivitäts-)Syndrom ist in den vergangenen Jahren zu einer verbreiteten Diagnose geworden. Damit stehen Eltern immer häufiger vor der Frage, wie sie mit einem Verdacht auf AD(H)S oder einer Diagnose dieses Syndroms umgehen sollen.

Wenn auch Sie in dieser Situation sind, können Sie mich gerne kontaktieren und zu diesem Thema befragen.

Einige Informationen vorab möchte ich Ihnen hier gerne geben.

Zur Diagnose:
für AD(H)S-ähnliches Verhalten wie Zappeligkeit, Impulsivität, Verträumtheit und Konzentrationsschwäche gibt es auch andere Erklärungen, die in Betracht gezogen werden müssen. Es hat sich zum Beispiel gezeigt, dass manchmal unentdeckte Schlafstörungen hinter dem auffälligen Verhalten stecken. Kinder erzählen nicht unbedingt etwas von solchen Problemen, da ihnen nicht bewusst ist, dass sie etwas unnormales erleben. Sie akzeptieren dann ihre schlechte Schlafqualität einfach als normal, weil sie nichts anderes kennen.
Auch ein Schilddrüsenüberfunktion kann zu körperlicher und geistiger Unruhe führen. Und dann gibt es auch einfach Kinder mit einem natürlichen starken Bewegungsdrang. Studien haben gezeigt, dass bei Kindern im Einschulungsalter manchmal noch ADHS-artiges Verhalten vorkommt, welches einfach im Lauf eines Jahres von selbst verschwindet – im Zuge der natürlichen Kindesentwicklung!

Zur Therapie:
In der Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 26.08.2005 zur Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) heißt es auf S. 27: “Die Indikation zur Stimulanzienmedikation ist bei gesicherter Diagnose nach ICD-10 oder DSM IV-Kriterien gegeben, wenn die Symptomatik ausgeprägt ist und eine psychoedukative und psychotherapeutische Hilfe nicht umsetzbar oder nicht innerhalb der Frist einiger Wochen hilfreich war.”
Dies bedeutet, dass vor der Gabe von Medikamenten einen psychoedukative und psychotherapeutische Hilfe versucht werden sollte. Aus meinem Erfahrungsschatz möchte ich darauf hinweisen, dass es auch die richtige Hilfe sein muss, denn nicht jede Art psychotherapeutischer Behandlung hilft tatsächlich. Daher sollte meines Erachtens nicht nur eine Maßnahme einige Wochen ausprobiert werden, sondern in Ruhe die zum Kind und zur Familie passende Hilfe gesucht und gefunden werden. In meiner Praxis habe ich die Erfahrung gemacht, dass ADHS-Hilfe bedeutet, die Einzigartigkeit des betroffenen Kindes zu erkennen und zu würdigen. Und ihm das Erleben eines ganz persönlichen eigenen Raumes zu ermöglichen, worin es sich geborgen und akzeptiert fühlt.

Zum Medikament Methylphenidat (Ritalin u.a.):
Es gibt eine weltumspannende Diskussion zur Frage, ob die Gabe von Methylphenidat medizinisch sinnvoll und ethisch vertretbar ist. Meiner persönlichen Erfahrung nach ist das Medikament bei einer angemessenen psychotherapeutischen Behandlung und Aufklärung/Schulung der Familie schlichtweg überflüssig.
Zudem bin ich nach wie vor nicht von den Argumenten überzeugt, die bislang für den Einsatz von Amphetaminen (ja, Methylhenidat ist ein Amphetamin!) bei Kindern vorgebracht wurden. Zum Einen halte ich es für schwierig, eine Langzeitbeobachtung der Persönlichkeitsentwicklung methodisch durchzuführen (denn wer könnte sagen, wie sich ein Mensch entwickelt hätte, wenn nicht…). Zum Anderen halte ich die bestehenden Wirksamkeitsstudien in einer bestimmten Hinsicht für fragwürdig. Die Definition von “Wirksamkeit” bezieht sich nämlich auf messbare, äußere Leistungsparameter, wie zum Beispiel die Fragen, ob das Kind nach außen hin ruhiger geworden und wie seine schulischen Leistungen sich entwickelt haben. Mit anderen Worten: es wird nicht gefragt, ob es dem Kind besser geht, ob es sich persönlich weiterentwickelt und Probleme durch Lernerfolge überwunden hat oder ob sich seine Selbstregulation, seine Selbstwahrnehmung und die Kommunikation mit anderen, in der Schule, in der Familie usw. verbessert hat. Es wird lediglich gefragt, ob das Kind nun besser funktioniert.

Übrigens: Die Entdeckung der Wirkung von Methylphenidat durch Leon Eisenberg fiel in eine Zeit, als ADHS als eine Art Hirnschaden betrachtet wurde. Herr Eisenberg beobachtete die Ruhigstellung der hyperaktiven Kinder durch das Medikament und folgerte, die Pille würde irgendwie die Auswirkung des Hirnschadens aufheben. Da von Erwachsenen bekannt war, dass Amphetamine aufputschend wirken, glaubte er, die beruhigende Wirkung sei nur möglich wenn das Kind den “Hirnschaden” ADHS habe.
Erst Jahrzehnte später wurde dann Methylphenidat auch an gesunden Kindern getestet – und siehe da: auch sie wurden durch die Pille ruhiggestellt. Damit war klar, dass Methylphenidat grundsätzlich auf Kinder beruhigend wirkt und dass dies sich erst im Erwachsenenalter in eine aufputschende Wirkung umkehrt.
[siehe hierzu: Blech, Jörg “Gene sind kein Schicksal”, Frankfurt 2010, ISBN 978-3-10-004418-1 (S. 92-93)
Leon Eisenberg plagen seither Gewissensbisse, weil er ohne ausreichende Prüfung eine Krankheitsdiagnose mitsamt Therapiestandard publik gemacht hat.
“”Die genetische Veranlagung für ADHS wird vollkommen überschätzt. ADHS ist ein Paradebeispiel für eine fabrizierte Erkrankung” sagt Eisenberg. Und er fährt in seiner Kritik fort: Eigentlich sollten Ärzte viel gründlicher die psychosozialen Faktoren ermitteln, die zu einem gestörten Verhalten führen könnten. Gibt es Streitigkeiten zwischen den Eltern, leben Mutter und Vater zusammen, gibt es Probleme in der Schule? Solche Fragen seien wichtig, aber sie nähmen viel Zeit in Anspruch, sagt Eisenberg und seufzt. “Eine Pille zu verschreiben dagegen geht ganz schnell.” Der emeritierte Professor schaut grimmig drein. Den ADHS-Geist, den er rief, wird er nicht mehr los.”]

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